29.11.2020 1. Advent

29.11.2020 1. Advent

Predigt: Sacharja 9:9-10

9 Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin. 10 Denn ich will die Wagen vernichten in Ephraim und die Rosse in Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde.

Liebe Mitchristinnen und Mitchristen!

Neulich abends ging ich durch die dunklen Straßen in Haidhausen. Ein langer Schultag war zu Ende. Und ich dachte zurück an frühere Jahre. Da war das um diese Zeit immer so wunderschön. Am Ende der Straße funkelten die Lichter des Weihnachtsmarktes am Weißenburger Platz. Ja, ein Weihnachtsmarkt! Der hat so seine ganz besondere Atmosphäre. Die Lichter, die Buden mit ihren Auslagen oder den kulinarischen Angeboten, die Menschen, die weihnachtlichen Klänge – so vieles gehört zu diesem adventlichen Geschehen und Treiben. Doch wenn ich in diesen Tagen durch die Metzstraße gehe, dann ist es am Ende der Straße recht dunkel. In diesem Jahr ist alles ganz anders. Die Verlautbarungen aus Regierungskreisen lassen uns bangen und hoffen. Wie wird es an Weihnachten werden? Können wir wie gewohnt feiern oder nicht? Ich denke, das lässt sich sehr klar schon jetzt beantworten. Es wird nicht so sein wie immer. Wir müssen uns umstellen. Wir müssen kreativ werden, neue Wege gehen. Und das ist gar nicht so einfach! Beim Propheten Sacharja hören wir heute einen Aufruf zur Freude. Freue Dich und jauchze! Diese Worte wollen zu einer ausgelassenen Fröhlichkeit führen.

Doch machen wir uns nichts vor! In diesem Jahr wird es an vielen Orten keineswegs fröhlich zugehen. In den Krankenhäusern wird im Advent und an Weihnachten einiges auf den Intensivstationen los sein. Da werden Ärztinnen und Ärzte und Pflegekräfte um das Leben von Patientinnen und Patienten ringen. In den Heimen und in den Häusern werden viele alte Menschen sich besonders einsam fühlen. Für manch einen ist es ohnehin nicht leicht, Weihnachten zu feiern. Wenn man keinen Angehörigen hat, dann können diese Tage sehr schwer sein. Und wenn nun die Besuchsmöglichkeiten bei den Alten oder in den Krankenhäusern fehlen, wenn die Möglichkeiten der Kontakte so massiv eingeschränkt sind, dann greift die Einsamkeit erbarmungslos um sich.
Wir alle kennen die Rede mancher Leute: Früher war alles besser! Und diese Menschen hängen alte Zeiten und schönen Erfahrungen nach. Ja, wir alle haben Erlebnisse vor Augen, Situationen, in denen wir uns gefreut haben. So war es wunderbar! Zugleich beginnen wir oft auch damit, diese Erfahrungen zu überhöhen. In der Rückschau bei gleichzeitiger Betrachtung der aktuellen Situation werden die alten Erlebnisse gerne schön geredet.

Dennoch: Wir haben unsere Erwartungen und Träume. Wir haben unsere Vorstellungen von Advent und Weihnachten. Und wir sehnen uns nach einer angenehmen und schönen Zeit. Und manchmal verbinden sich auch Wünsche und Träume mit unseren Erwartungen, die eine grundlegende Veränderung herbeisehnen.

Auch zur Zeit des Propheten Sacharja gab es mancherlei Sehnsüchte. Es ist die Zeit nach dem babylonischen Exil. Eigentlich könnte man vermuten, dass es den Menschen gut geht. Doch dem ist nicht so. Bei all den prophetischen Verheißungen, die das Heil für das Volk vor Augen stellten, hat sich doch nicht alles erfüllt. Es ist die Zeit der Nachfolger Alexanders des Großen. Die nachfolgenden Herrscher hatten eine vollkommen falsche Selbstsicht. Und anstelle Ihrer vermeintlichen Größe brachten sie sich gegenseitig auf heimtückische Weise um. Wir können uns vorstellen, dass dieses Chaos nicht am Volk vorüberging. So waren sie wieder wach geworden, die Träume von einer anderen Welt, von einem anderen Leben. Und damit verbunden wuchs die Sehnsucht, dass doch ein neuer Herrscher kommen möge, ein Herrscher aus dem eigenen Volk, der wieder Zustände herstellt, wie einst zur Zeit des großen Königs David. Man träumte von Eigenständigkeit und Wohlstand. Man sehnte sich nach Größe und Ruhm.

Vielleicht sind das auch die Erwartungen unserer Zeit. Irgendwie ist alles nicht mehr so wie vor der Corona-Krise. Da fehlen nun die Weihnachtsmärkte, das Weihnachtsshopping und all die schönen Verzierungen, Stimmungen und Annehmlichkeiten. Da wird manches ganz anders sein, als wir es ohne Corona geplant hätten. Aber – ist damit Weihnachten wirklich ausgeblendet? Wird es deshalb kein richtiges Weihnachten werden?

Unsere Erwartungen sind immer wieder groß. Wir haben unsere Vorstellungen. Aber ist es dann gleich schlecht, wenn es anders kommt?

Die Worte des Propheten Sacharja spielten lange keine große Rolle. Und das hatte seinen Grund. Denn die Vorstellungen entsprachen nicht dem, was man sich gewünscht hatte. Das soll dieser neue Herrscher sein! Das soll der Messias sein, auf den wir so hoffen! Das fragten sich die Menschen in der Zeit vor Christus, wenn sie diese Worte des Propheten lasen oder hörten. Was ist das für ein König? Was ist das für ein Herrscher? Der kommt auf einem Esel daher. Er ist arm. Das klingt doch eher nach einem Versager der Gesellschaft. Und auf so einen sollen wir warten? Wenn uns jemand helfen kann, dann mit Sicherheit nur ein starker, mächtiger und prächtiger Mensch, ein Mensch, dem man seine Macht ansieht. Martin Luther hat hier auch noch sehr gnädig übersetzt. Eigentlich müsste es heißen: Da kommt ein Mensch, der gerecht ist und dem geholfen wird. Dieses Passiv ist entscheidend. Ihm wird geholfen! Was soll das für einer sein? Das kann doch nicht unsere Zukunft sein! Keiner setzt doch auf einen Schwächling!

So haben sich damals die Menschen gefragt. Und auch als Jesus schließlich auf einem Esel nach Jerusalem geritten ist, war es keineswegs so überzeugend, wie wir es immer uns ausmalen. Die jubelnde Menge war nicht unbedingt mit denjenigen gleichzusetzen, die riefen: „Kreuzige ihn!“ Doch mag auch bei fielen die Enttäuschung über diesen seltsamen König auf dem Esel mitgeschwungen haben.

Und wir? Wir haben unsere Vorstellungen von Weihnachten. Wir träumen von einem schönen Advent wie alle Jahre. Aber haben wir damit vielleicht nicht auch falsche Vorstellungen? Kommen wir dem Geheimnis von Weihnachten nicht vielleicht gerade in diesem Jahr viel besser auf die Spur, eben dadurch weil es nicht so ist, wie wir es erwarten? Haben wir vielleicht viel zu viele Vorstellungen und Erwartungen um Weihnachten gebaut, dass wir die eigentliche Botschaft gar nicht mehr sehen? Und sind wir dann vielleicht jetzt enttäuscht, wenn wir feststellen, dass alles ganz anders ist.

„Das soll er sein?“ Diese Frage kann uns auch neugierig machen. Sie kann uns dazu bewegen, von einer ganz anderen Seite auf Advent und Weihnachten zu blicken.

„Siehe, dein König kommt zu dir!“ Schau hin! Dau ruft uns Sacharja auf. Der Mann auf dem Esel mag nicht attraktiv erscheinen. Wenn heute einer in einem alten klapprigen Auto daherkommt, dann scheint das für viele auch nicht passend. Das sind doch nur die Verlierer der Gesellschaft. Wer etwas zu sagen hat, der fährt einen Luxuswagen.

Eben nicht! Die Bibel lehrt uns hier etwas anderes. Der Esel begegnet uns durch die Zeiten hindurch immer wieder. Und er verbindet sich auch mit einem König. David fordert die Leute auf, seinen Sohn Salomo auf ein Maultier zu setzen, ehe er zum König ernannt wird.

Und gerade Jesus nimmt den Esel immer wieder als Reittier. Besonders deutlich wird uns das im Zusammenhang mit seiner Geburt: Ein Esel trägt die schwangere Maria nach Bethlehem. Im Stall finden wir den Esel wieder. Und auf dem Esel reitet Jesus nach Jerusalem. Jesus ist eng verbunden mit dem Reittier der armen Leute.

Aber gerade deshalb: Schau hin! Der König kommt zu Dir! Es ist eine ganz persönliche Botschaft an Dich und mich, an uns alle, die der Prophet Sacharja zuspricht. Es kommt ein anderer König, als der den wir erwarten. Aber dieser König wird das Leben grundlegend verändern.

Sacharja sprach mit seinen Worten das Volk seiner Zeit an. Ganz gleich, was aktuell los ist, was unser Leben beschwert, da kommt einer, der unser Leben verwandeln wird. Und diese Verwandlung wird nicht mit Gewalt und Machtstreben zu tun haben. Denn der, der da kommt, der kommt nicht ganz oben. Vielmehr er fängt ganz unten an. Er fängt dort an, wo die Menschen stehen. Er hat ein Herz für die Schwachen und Armen. Und gerade an diesen wird sich zeigen, wie sich das Leben verändern wird. Es ist eine Botschaft für alle Zeiten. Konkret ist sie geworden in Jesus. Der große Gott macht sich ganz klein. Er wird einer von uns und geht den Weg durch unsere Niedrigkeiten. Und somit kommt er uns ganz nahe. Er kommt zu mir und zu dir. Und er will unser Leben verändern.

Die Mächtigen bringen uns leider immer wieder Schrecken und Elend. In so vielen Ländern dieser Welt herrscht in unseren Tagen Krieg. So schnell vergessen wir das. Und der Krieg ist der Vater aller Armut, aller Schwachheit, alles Elends. Wenn Menschen nur nach Macht und Pracht, nach Schein und Glimmer streben, dann bleiben die Armen und Schwachen auf der Strecke.

Die Verheißung bei Sacharja kündigt uns aber Frieden an, einen Frieden, der von diesem König ausgeht, der ganz bescheiden auf einem Esel daher reitet. Das mag für manche auch ein trauriges Bild sein, ein geradezu lächerliches Bild. Doch hier geht es nicht ums Äußerliche. Die Verheißung bei Sacharja zeigt uns einen weltumspannenden Frieden auf, einen Frieden, bei dem die Kampfwagen und die Kriegsbögen vernichtet sind. Es geht um eine andere Welt. Es geht um eine veränderte Welt, bei der Angst und Schrecken, Kummer und Leid in Freude verwandelt werden.

Aber, so mögen einige gleich einwenden: Das ist doch Utopie! Das wird es doch eh nie geben. Ja, wir sehen in diese Welt und wir sehen das Elend, die Nöte und die Kriege. Noch ist es nicht so, dass Frieden herrscht.

Aber: Das ist die Botschaft des Sacharja, das ist die Botschaft von Advent und Weihnachten: Dein König kommt zu Dir! Und da sind wir nun gefordert. Da sind wir nun gefragt: Lassen wir diesen König zu uns? Lassen wir ihn an uns heran? Lassen wir ihn unser Herz verändern? Von Jesus wird immer wieder berichtet, wie er ein großes Herz für die Armen und Schwachen hatte. Die Menschen jammerten ihn. Er ließ die Not ganz emotional an sich heran. Und er ist ihnen mit Liebe begegnet und begegnet uns auch heute mit seiner zuvorkommenden Liebe. Er ist ein Gerechter und einer, dem geholfen wird. Diese ursprüngliche Version macht uns deutlich, wie sehr wir gefragt sind. Es ist die konkrete Frage an uns: Siehst Du das Leid, die Schwachheit, die Armut der anderen? Lässt Du ihre Sorgen und Nöte an Dich heran? Das Geheimnis der Botschaft ist, dass uns Jesus gerade in dem Armen und Schwachen begegnet. Wenn er auf dem Esel reitet, macht er klar: Bei denen, die der Zuwendung bedürfen, fängt er an. Er ist nahe denen, die zerbrochenen Herzens sind. Und in dem Armen und Schwachen begegnet er uns selbst. So sind wir gefragt, die Armen und Elenden in den Blick zu nehmen, nicht zu sagen „Geht nicht“. Bei Jesus gibt es kein „Geht nicht“. Er gibt alles, damit wir leben können. Folgen wir ihm nach, geben wir unser Leben für ihn, so werden wir die Freude erleben und erfahren.

Advent und Weihnachten werden in diesem Jahr ganz anders sein. Aber vielleicht werden wir dem wahren König viel näher kommen. Er kommt zu Dir! Nimm ihn auf! Nimm die Menschen mit ihren Sorgen und Nöten auf. Hilf ihnen! Lass Deine Fantasie walten! Ein Anruf bei einem einsamen Menschen wird vieles verändern. Auch wenn wir Abstand halten müssen, können Kleinigkeiten dem Leben Freude bringe, ein Anruf, ein Brief, ein Zeichen der Verbundenheit. Freude und Frieden sind die Signale der Veränderung. Noch sind wir nicht am Ziel. Aber auf dem Weg zu Gottes neuer Welt können wir dem helfen, der sie aufrichtet. Nutzen wir dazu den Advent! Der König kommt zu Dir! Blicken wir nicht auf die Äußerlichkeiten! Die wahre Freude liegt in der Begegnung!

Ihr Pfarrer Carsten Klingenberg