11.07.2021 6. Sonntag nach Trinitatis

11.07.2021 6. Sonntag nach Trinitatis

Predigt: Matthäus 28:16-20

16 Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte. 17 Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten. 18 Und Jesus trat herzu, redete mit ihnen und sprach: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. 19 Darum gehet hin und lehret alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes 20 und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.

Liebe Mitchristinnen und Mitchristen!

„Legacy“ – „Vermächtnis“, dieses Wort drängte sich mir auf, als ich diese Schlussworte des Matthäusevangeliums wieder einmal gelesen habe. „Legacy“ – so heißt ein Lied der 2019 im Alter von 35 Jahren verstorbenen christlichen Songwriterin Debora Sita. Das Lied ist wie ein Vermächtnis ihres Glaubens, kurz vor ihrem Tod geschrieben.

Eine etwas andere Perspektive bietet uns Jesus kurz vor seiner Himmelfahrt. Der Auferstandene hat noch einmal seine Freunde versammelt, auf einer Anhöhe. Er möchte ihnen ein Vermächtnis auf den Weg mitgeben, Worte für die Zukunft, Worte der Wegweisung und des Trostes, der Orientierung und der Zusage.

Vielleicht sind uns diese Worte schon sehr vertraut. Vielleicht geht es uns aber auch so, dass wir sagen: „Was hat das mit mir zu tun, mit meiner Lebenssituation? Das klingt doch schon so abgehoben von meinem Alltag.“

Und in der Tat sind wir herausgenommen aus unserem Alltag. Der Auferstandene hat seine Freunde herausgeführt aus dem täglichen Leben. Diese Freunde hatten eine Menge erlebt. Und dabei sind ihre Gefühle ganz schön durchgewirbelt worden. Das Kreuz, die Grablegung, die Auferstehung – das ist eine Art Achterbahn der Gefühle, die die Freunde Jesu miterlebt haben. Und nun gehen sie einen Berg hinauf.

Auch wir sind heute aus unserem Alltag herausgenommen. Vieles hat sich ereignet. Oft sind wir uns dessen gar nicht so bewusst. Doch wir spüren, dass die Ereignisse dieser Welt und unseres eigenen Lebens uns immer wieder herausfordern und uns durcheinander bringen. Und so machen wir uns am Sonntag auf in den Gottesdienst, in die Kirche. Und hier begegnet uns eine andere Botschaft als die des Alltages. Wir werden herausgenommen aus dem, was auf uns Tag aus Tag ein hereinprasselt. Wir nehmen uns Auszeit und werden still und hören.

In jedem Gottesdienst kommt es zu einer Begegnung mit dem lebendigen Gott. So wie die Freunde Jesu auf der Anhöhe noch einmal dem Auferstandenen begegnen, so erfahren wir diese Begegnung auch im Gottesdienst. Es gibt Gottesdienste, da gehen die Gläubigen auf die Knie, so wie es die Freunde Jesu damals auf der Anhöhe machten. Und es gibt in jedem Gottesdienst sicher auch Menschen, die zweifeln. Und da ist es beruhigend, dass das sogar die Menschen, die so nah bei Jesus waren, erlebten. Zweifel gehört mitunter zum Glauben dazu. Wir erleben hier etwas, wir hören eine Botschaft, die nicht immer leicht zu fassen ist. Dem Auferstandenen zu begegnen, das ist etwas Großartiges, doch es wirft zugleich auch Fragen auf. Kann das alles sein? Bin ich hier im richtigen Film?
Doch dann spricht der Auferstandene. Er gibt seinen Freunden damals wie auch uns heute ein Vermächtnis mit. Und dieses Vermächtnis hat es in sich.

Zunächst macht Jesus deutlich, wer er ist: Er ist der Herr der Welt. Gegen ihn kann niemand etwas vorbringen. Niemand ist größer und stärker. Und das ist ein Trost, wenn wir den Eindruck haben, dass andere Mächte von uns Besitz ergreifen wollen. Das ist ein deutliches In-die-Schranken-Weisen aller Machthaber, die sich absolut setzen wollen und keine andere Meinung zulassen. Das ist eine klare Stärkung gegen alle Krankheit, alle Schrecken und Unruhen, die unser Leben aus der Bahn werfen wollen. Es ist eine eindeutige Ansage gegen den Tod. Ja, immer wieder sterben Menschen in unserer Mitte und immer wieder reißt das Wunden in unserem Inneren auf. Doch der Auferstandene hat selbst dem Tod die Macht genommen. Das ist die frohe Botschaft, das ist die Perspektive, die Christinnen und Christen in sich tragen.

Und diese Botschaft – sagt uns der Auferstandene – will auch den Menschen gesagt werden. Christinnen und Christen sind gesandt, die Botschaft des Auferstandenen zu den Menschen zu bringen. Diese Worte haben um 1900 junge Menschen in Deutschland ganz persönlich genommen. Sie haben sich berufen gefühlt, in alle Welt zu gehen und anderen Völkern, zu denen die christliche Botschaft noch nicht gekommen war, zu predigen. Da mögen heute manche das kritisch sehen. Und doch hat dieser Einsatz dieser Menschen auch Befreiung gebracht. In Papua-Neuguinea herrschte eine sehr düstere Vorstellung. Der Ahnenkult führte dazu, dass jeder Verstorbene gerächt werden musste. Und so kam es dazu, dass kaum ein Mensch eines natürlichen Todes starb. Welch eine Befreiung, die die Missionare brachten! Man brauchte keine Angst mehr zu haben. Die Botschaft vom Auferstandenen veränderte grundlegend das Leben. Aus der Vergebung zu leben und den Mitmenschen als von Gott geliebt zu sehen, brachte eine ganz neue Lebensqualität hervor.

Auch wir sind heute gesendet, das Evangelium weiterzugeben, zu bezeugen und zu leben, damit sich etwas verändern kann in dieser Welt, damit Hoffnung und Zuversicht platzgreifen.
Dazu fordert der Auferstandene zur Taufe auf. Und dabei geht es nicht nur um einen formalen Akt. Hier geht es nicht nur darum, dass wir möglichst vielen Menschen das Wasser über den Kopf gießen und dann die Statistik der Kirche aufbessern. Der Auftrag Jesu meint vielmehr: Ermöglicht den Menschen, dass sie in die Freundschaft zu mir, dem Herren dieser Welt treten können. Zeigt ihnen, dass die Freundschaft zwischen Gott und Mensch für den Weg durchs Leben Ermutigung ist. Denn wer getauft ist, der steht in einer großen Gemeinschaft, die trägt, und in der Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott.

Und dann gibt der Auferstandene den Auftrag zur Lehre. Das klingt sehr schulmeisterlich. Und mir kommen als erstes Gedanken an Religionsunterricht, Konfirmandenunterricht und Glaubenskurse. Aber meint das der Auferstandene wirklich so? Soll es ein theoretisches Auswendiglernen von irgendwelchen Glaubensinhalten sein? Das glaube ich nicht. Auf der Basis der Taufe, auf der Grundlage der Freundschaft mit Gott, geht es darum, dass wir Menschen Gott immer mehr kennenlernen sollen. Und das ist etwas, was mit unserem Leben und unserem Alltag zu tun hat. Es geht darum, den Glauben, die Freundschaft mit Gott zu leben. Und das wird ganz konkret im Miteinander. Es ist ein immer wieder neues Buchstabieren und Einüben in das Leben aus der Liebe Gottes. Und das bedeutet: Das Alte, das, was unser Leben bedrückt und unsere Gedanken gefangen nimmt, das können wir hinter uns lassen, das dürfen wir abgeben. Aus der Vergebung leben eröffnet zu einem neuen Lebensstil. Jesus hat uns dies vorgelebt. Er ist auf die Menschen zugegangen. Er hat die Bedrückten, die Belasteten, die Niedergeschlagenen und Ausgegrenzten hineingenommen in die Gemeinschaft mit ihm. Er hat neue Türen und Wege eröffnet. Er hat Heilung geschenkt der Wunden, die Menschen einander schlagen. Jesus will uns befreien zu einem neuen Leben. Und dazu ist es wichtig, dass wir immer wieder neu sein Handeln und sein Wort betrachten und uns einander stärken und stützen in diesem Lebensstil.

All das, was wir gerade als Ansprache des Auferstandenen gehört haben, ist ein Angebot, ist sein Angebot des neuen Lebens mit ihm. Doch mit diesem Angebot verbindet er auch noch eine Zusage. Es ist die Zusage seiner Gegenwart immer und überall. Darauf dürfen wir zählen. In der Gemeinschaft mit dem Auferstandenen gehen wir nicht allein durch diese Zeit und diese Welt. Wir sind nicht allein. Auch auf Wegstrecken, die sehr holperig sind, da dürfen wir darauf trauen: Er begleitet uns. Er ist mit uns. Er geht mit uns durch dick und dünn.

Diese Zusage, dass der Auferstandene immer und überall mit uns ist, die gilt nicht  nur am Sonntag, nicht nur, wenn wir herausgehoben sind aus dem alltäglichen Trubel unseres Lebens. Dieses Zusage gilt immer. Und wenn wir am Sonntag mitgenommen werden auf die Anhöhe und dort die Botschaft hören können, die trägt, dann gilt das auch wieder in den Niederungen des Alltags, in den wir zurückmüssen, in den wir aber nicht auf verlorenem Posten stehen. Denn unser guter Freund, der Auferstandene ist mit uns. Das ist sein Vermächtnis.

Debora Sita besingt in ihrem Lied das Vermächtnis von der anderen Seite, aus der Sicht des Glaubenden. Das Lied stellt uns auch in den Gottesdienst und es sagt zuerst: „Heute beziehen wir Stellung. Wir sehen das gelobte Land.“ Gottesdienst, Begegnung mit dem Auferstandenen führt uns immer in die Entscheidung, ob wir mit ihm gehen wollen, zeigt uns aber zugleich auch die Perspektive, die uns verheißen ist. Und dann wird das Lied zu einer Bitte, dass nämlich unser Leben auch der Verheißung entspricht. Debora Sita formuliert es so: „Lass mich mein Leben leben, um ein Vermächtnis zu hinterlassen. Eine Geschichte von deiner Gnade und was du in mir getan hast. Lass mich ein Licht leuchten, ein Strahl in der Nacht. Ich halte nichts zurück, nimm alles, was du willst, von mir.“ Es sind Worte, die das Leben verändern wollen, die dem Auferstandenen einladen, dass sich das eigene Leben neu ausrichten kann, und somit ein Vermächtnis hinterlässt. Und Debora Sita formuliert das Ziel so: „Dass mein Herz am Ende wie dein Herz aussieht.“

Das Vermächtnis des Auferstandenen wird zu einem Vermächtnis, das wir weitergeben, wenn wir die Befreiung zu einem Leben aus der Liebe Gottes erfahren haben, befreit zu einer Perspektive neuen Lebens in der Freundschaft mit Gott.

Ihr Pfarrer Carsten Klingenberg