02.04.2021 Karfreitag

02.04.2021 Karfreitag



Predigt: Jesaja 52:13-15,53:1-12 LÜ

13 Siehe, meinem Knecht wird's gelingen, er wird erhöht und sehr hoch erhaben sein. 14 Wie sich viele über ihn entsetzten – so entstellt sah er aus, nicht mehr wie ein Mensch und seine Gestalt nicht wie die der Menschenkinder –, 15 so wird er viele Völker in Staunen versetzen, dass auch Könige ihren Mund vor ihm zuhalten. Denn was ihnen nie erzählt wurde, das werden sie nun sehen, und was sie nie gehört haben, nun erfahren. 1 Aber wer glaubt dem, was uns verkündet wurde, und an wem ist der Arm des HERRN offenbart? 2 Er schoss auf vor ihm wie ein Reis und wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte. 3 Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet. 4 Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. 5 Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. 6 Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn. 7 Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf. 8 Er ist aus Angst und Gericht hinweggenommen. Wen aber kümmert sein Geschick? Denn er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen, da er für die Missetat seines Volks geplagt war. 9 Und man gab ihm sein Grab bei Gottlosen und bei Übeltätern, als er gestorben war, wiewohl er niemand Unrecht getan hat und kein Betrug in seinem Munde gewesen ist. 10 Aber der HERR wollte ihn also zerschlagen mit Krankheit. Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, wird er Nachkommen haben und lange leben, und des HERRN Plan wird durch ihn gelingen. 11 Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben. Durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden. 12 Darum will ich ihm die Vielen zur Beute geben und er soll die Starken zum Raube haben dafür, dass er sein Leben in den Tod gegeben hat und den Übeltätern gleichgerechnet ist und er die Sünde der Vielen getragen hat und für die Übeltäter gebeten.

Liebe Mitchristinnen und Mitchristen,

einst war Karfreitag ein Tag in  unserer Kirche, an dem sehr viele Menschen in die Gottesdienste kamen. Mittlerweile hat sich dies geändert. Vieles in unserer Gesellschaft hat sich gewandelt. Viele Menschen verstehen diesen Feiertag nicht mehr. Sie wollen auch nicht still halten. Lief in früheren Jahren im Radio eher gedämpfte Musik, so können wir heute auch ganz anderes hören. Und immer mehr Menschen begehren auf gegen Tanzverbot und Ähnliches.

Mit dem Karfreitag können eben viele nicht mehr viel anfangen. Zudem kommt noch, dass sich mit dem Karfreitag auch keine schönen Bilder verbinden. Das Kreuz, eines der markanten Symbole der Christenheit, ist für zahlreiche Menschen zu einem Zeichen geworden, das sie am liebsten nicht vor Augen haben wollen. Und auch unter Christinnen und Christen finden sich Menschen, die mit dem Kreuz unangenehme Gefühle verbinden.

Ist der Karfreitag also out? Sollen wir ihn einfach auslassen? Brauchen wir diesen Tag und die Botschaft dieses Tages noch? Die Worte aus dem Prophetenbuch Jesaja führen uns heute zu einer erstaunlichen Botschaft. Auf den ersten Blick scheint sie für sich genommen überhaupt nicht zu Karfreitag zu passen. Es ist eine Erfolgsbotschaft: „Meinem Knecht wird’s gelingen.“ Zwar bleibt offen, wer dieser Knecht ist. Aber schon früh haben die Christen die Botschaft dieser Verse auf Jesus bezogen. Hier geht es also um einen großen Erfolg. Hier wird einer als Sieger hervorgehen. Das ist eigentlich eine Nachricht, die Schwung bringt, der beflügelt, die manch einen zum Jubeln bringen kann. Doch gleichzeitig müssen wir uns fragen: Worum geht es denn hier? Worin liegt der Erfolg? Und was hat das mit uns und mit mir zu tun?

Ganz offensichtlich geht es hier um eine grundlegende Botschaft. Und das zeigt uns auch, dass es um die Fragen unseres Lebens geht, um das, was uns ganz persönlich betrifft. Somit stehen wir mitten im Leben, in unserem Leben. Mögen die Worte des Propheten auch schon so alt sein, hier geht es um das, was uns unmittelbar angeht. Was für ein Leben wünschen wir uns? Wonach sehnen wir uns in unserem Alltag? Wir alle möchten, dass unser Leben gelingen kann, dass unsere Begegnungen mit anderen Menschen schön und erfreulich sind, dass wir gesund sind, dass wir Erfolg haben in Schule, Beruf oder anderen Bereichen des Lebens, da, wo wir eben hingestellt sind. Doch zugleich erleben und erfahren wir jeden Tag aufs Neue, dass Leben scheitert. Wir ärgern uns über andere Menschen. Wir schimpfen darüber, dass mal wieder irgendetwas nicht funktioniert. Wir sind betrübt, wenn wir scheitern, wenn wir Misserfolg haben. Wir sehen nicht mehr klar, wenn Probleme uns bedrücken. Und dann, wenn wir spüren, dass wir in irgendeiner Weise schuldig geworden sind, dann kann das ganz besonders an uns nagen. Da merken wir, dass alles Verdrängen nichts hilft. Das Belastende taucht immer wieder auf, so sehr wir uns auch davon abwenden wollen. Dann blickt uns eine garstige Seite des Lebens an. Und wir sehnen uns nur noch nach Befreiung.
„Meinem Knecht wird’s gelingen.“ Diese Worte lassen uns aufhorchen. Mitten in unseren Sorgen und Nöten, unseren Problemen, unserem Scheitern, unseren Belastungen vernehmen wir diese Botschaft. Sie verheißt uns etwas anderes. Sie gibt uns Hoffnung auf ein anderes Leben, frei von den Schattenseiten dieser Welt.

Doch dann halten wir inne. Fokussieren wir uns auf diesen Knecht, von dem hier die Rede ist, dann hören wir Schreckliches. „Entstellt“ ist er! Das ist wahrlich kein erfreulicher Anblick. Und da schließen wir uns vielleicht im ersten Moment auch denen an, die sich beim Anblick dieses Knechtes entsetzen. Und zugleich fragen wir uns: Kann das sein? Dieser Knecht soll Erfolg haben?

„Wer glaubt dem, was uns verkündet wurde?“ Ja, können wir das glauben? Was hören wir denn? Was sehen wir denn? „Da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte. Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg. Darum haben wir ihn für nichts geachtet.“ Diese Beschreibung lässt erschrecken. Und sie macht auch deutlich, weshalb so viele Menschen es nicht fassen können, dass hier ein Erfolg, ein Sieg zugrunde liegen soll, dass hier etwas zu finden ist, was uns und unserem Leben Befreiung und Zuversicht geben könnte.

Nein, Karfreitag ist kein Tag der angenehmen Bilder. Karfreitag ist nicht der Tag, an dem wir Party feiern können. Am Karfreitag vergegenwärtigen wir uns die Ereignisse damals in Jerusalem vor ca. 2000 Jahren. Eigentlich war man zusammengekommen zu einem Fest, um zu feiern. Das Passafest, das Fest der Befreiung  stand bevor. Doch statt der Feststimmung wurde es blutig. Draußen vor den Toren der Stadt auf dem Hügel Golgatha, auf dem Berg, der eine Form wie ein Totenschädel hat, dort wurden drei Menschen gekreuzigt. Nach Golgatha brachte man seinen Müll. Es war der Müllberg von Jerusalem. Und so brachte man auch die Menschen, die man nicht mehr haben wollte, dort hinaus. Es sind grausame Bilder, die der Karfreitag uns bietet: Gefangene und Schaulustige, Soldaten und Trauernde. Sie alle finden sich dort und betrachten, ja begaffen zum Teil das Geschehen. Drei Menschen müssen sterben. Und auf den in der Mitte richten sich vor allem alle Blicke. Das ist der Knecht, von dem der Prophet gesprochen hat, werden die ersten Christen sagen. Und in der Tat: Sein Aussehen entspricht den Beschreibungen des Propheten. Der Knecht Gottes hängt dort am Kreuz. Er stirbt vor den Augen so vieler – und auch vor unseren Augen. Und schließlich wird er zu Grabe getragen, so wie es bei dem Propheten zu lesen ist.

Das soll ein Erfolg gewesen sein? Das soll etwas mit mir und meinem Leben zu tun haben?
Der Prophet stellt den Zusammenhang her zwischen diesem Geschehen und uns und unserem Leben. „Er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.“ Da haben wir es gehört. Es geht um uns. Es geht um unseren Frieden und um unsere Heilung. Das ist schön. Da kann ich mich freuen. Mein Leben kann in Ordnung kommen, da, wo ich unzufrieden bin, da, wo ich Belastungen verspüre. Doch das mit der Strafe lässt mich innehalten. Er, der Knecht Gottes muss all dieses erleiden, den bitteren Tod, das Leiden und Sterben! Alles wegen uns! Alles wegen mir! Da fühle ich mich aber erst einmal richtig schlecht! Da stirbt jemand für mich! Das heißt das doch! Und – bin ich denn wirklich so schlecht? Ist das denn wirklich nötig für mich? Ich habe doch niemand umgebracht. Ich habe doch keine schweren Verbrechen begangen. Ich bemühe mich doch, ein anständiger Mensch zu sein. Ja, das mag sein. Und doch: Ich muss ehrlich mit mir sein. Ich komme immer wieder an meine Grenzen. Ich weiß darum, dass so manches einfach nicht gelingt, dass es Unstimmigkeiten gibt, dass ich nicht jedem Menschen gerecht werde. All die Dinge, die mich in meinem Alltag belasten, all das, was mein Leben hemmt, bedrückt, herunterziehen möchte, all das empfinde ich doch als unangenehm. All das nimmt mir immer wieder die Kraft und die Freude und die Zuversicht.

Und nun hören wir: Da ist einer für uns, für mich und für Dich diesen Weg gegangen, der ihn ans Kreuz brachte. Der Prophet sagt: Er ist wie ein Lamm zur Schlachtbank gegangen. Er hat sich nicht gewehrt. Er hat alles auf sich genommen. Und dazu kommt noch das Unglaubliche: Er ist unschuldig gewesen! Über dem Kreuz lässt Pilatus das Schild anbringen, dass den Grund für die Todesstrafe ausdrücken soll. INRI – Jesus von Nazareth, König der Juden. Diese Aufschrift macht deutlich, dass Pilatus keinen echten Grund für die Verurteilung gesehen hat. Gekreuzigt wurden politische Gegner. Das war Jesus nun wahrlich nicht. Es gab eigentlich keinen Grund für seine Kreuzigung. Nur die Verblendung von Menschen, die der Wahrheit nicht ins Auge sehen wollten, die ihre eigenen Felle davonschwimmen sahen, brachten Jesus ans Kreuz.

Aber der Knecht Gottes hat nicht auf sich geschaut, nicht darum gekämpft, sich zu retten. Seine Mission war es, uns Menschen zu retten, frei zu machen aus unseren Verstrickungen, aus unseren Belastungen, aus unserer Perspektivlosigkeit. „Er hat die Sünde der Vielen getragen.“ Die Verletzungen und Enttäuschungen, die Sorgen und Nöte, die Trauer und alles Leid hat er auf sich genommen, damit wir frei werden können, damit die Wunden unserer Seelen heilen können.

In ihm geht Gott selber den Weg von uns Menschen. Er setzt sich dem Leiden, der Ungerechtigkeit, dem Hass, dem Scheitern von uns Menschen aus, um uns dort abzuholen und uns einen Weg heraus aus all dem, was die Luft zum Atmen nimmt, zu bereiten.

„Wer glaubt dem, was uns verkündet wurde?“ Die Botschaft von Karfreitag ist nicht leicht zu betrachten. Aber es ist die Botschaft, die uns frei macht, die uns aufblicken lässt, die uns die Zukunft eröffnet. Wir dürfen zum Kreuz kommen mit dem, was uns auf der Seele liegt, es ihm, Jesus anvertrauen. Wir dürfen den Müll unseres Lebens nach Golgatha hinausbringen und dort beim Kreuz abladen. Jesus möchte uns frei machen. Wir sehen: Es geht nicht um die oberflächliche Frage, ob wir an diesem Tag eine Party feiern dürfen oder nicht. Es geht um die Frage, wie wir in unserem Leben eine Freude gewinnen, die trägt, die aufrichtet, die beflügelt.

Das Kreuz bietet uns zunächst einen entsetzlichen Anblick. Es lässt uns verstummen. Es macht betroffen. Karfreitag würden wir auf den ersten Blick gerne meiden. Doch hinter dem Kreuz steht das Leben in Fülle, die Botschaft von der Befreiung und Heilung der Wunden unseres Lebens. Dies zu erkennen gilt es. Und als Christinnen und Christen können wir es mit dem Blick von Ostern her fassen. So können wir erkennen, dass der Knecht in der Tat Erfolg hat.

Einzig bleibt die herausfordernde Frage dieses Tages: „Glaubst Du das?“ Wohl dem, der von Herzen ein Ja dazu finden kann. So wird Karfreitag zu einem Tag mit Perspektive.

Ihr Pfarrer Carsten Klingenberg